Abschied und Trauer
Viele Frauen und Männer stürzen in eine Krise, wenn sie realisieren, dass sie niemals Eltern eines leiblichen Kindes werden. Sie müssen sich von ihrem Herzenswunsch verabschieden, der unter Umständen jahrelang ihren Alltag geprägt und ihre ganze Aufmerksamkeit beansprucht hat.
Das Kind, das im Herzen bereits einen festen Platz eingenommen hatte, das in Gedanken im Arm gehalten wurde, ist nicht auf diese Welt gekommen. 48 Prozent der betroffenen Frauen und 15 Prozent der Männer empfinden ihre Unfruchtbarkeit als die schlimmste Erfahrung ihres Lebens, noch vor einer Scheidung oder dem Tod eines nahestehenden Menschen.
Tipps in Trauerkrisen
- Nehmen Sie die Trauer an. Sonst besteht die Gefahr, sie zeigt sich in einer Depression oder Destruktivität.
- Außerdem bedarf es viel Energie, Trauer zu unterdrücken.
- Machen Sie sich bewusst, dass Trauern ein gesunder Prozess ist.
- Versuchen Sie, dieTrauer zu kanalisieren. Schaffen Sie sich einen Platz, an dem getrauert wird. Wenn die Trauer Sie „überfällt“, nehmen Sie sie sinnbildlich an die Hand und versichern Sie ihr, dass sie ihren Platz und ihre Zeit bekommt.
- Wenn der Trauerschmerz kommt, leben Sie von einem Tag auf den anderen. Stoppen Sie Befürchtungen, dass Sie diesen Schmerz ein Leben lang aushalten müssen. Planen und leben Sie von einem Tag auf den anderen. So ist der Schmerz besser auszuhalten.
- Stoppen Sie bewusst Gedanken, die destruktiv sind und lenken Sie sich ab.
- Packen Sie sich einen „Notfallkoffer“: Schreiben Sie auf, was Ihnen in anderen Trauer- oder Krisensituationen geholfen hat, wo und wie Sie Kraft tanken können. Vergessen Sie nicht, auch die Menschen zu notieren, zu denen Sie Vertrauen haben und zu denen Sie kommen können, wenn es Ihnen nicht gut geht.
- Sorgen Sie für sich, so wie sie es für Ihr Kind getan hättet, wenn es Sorgen oder Kummer gehabt hätte.
- Richten Sie den Blick auf das, was gut ist in Ihrem Leben.
- Schreiben Sie Ihre Gedanken in ein Abschiedsbuch.
- Suchen Sie das Gespräch mit Menschen, die das selbe Schicksal haben wie Sie. Niemand anderes wird Sie so gut verstehen.
- Überlegen Sie, wie Ihr Partner, Ihre Partnerin Ihnen helfen kann.
- Sprechen Sie aus, was Sie brauchen
Trotz all diesen Anregungen hat Trauer aber auch immer etwas mit Aushalten zu tun.
Nehmen Sie professionelle Hilfe an wenn Sie:
- über einen längeren Zeitraum niedergeschlagen sind und Sie keinen Ausweg aus diesem Tief sehen,
- sich ein Leben ohne liebliches Kind nicht vorstellen können und Ihnen das Leben sinnlos erscheint,
- der Schmerz daran hindert, am Leben teilzunehmen,
- den Einddruck haben, dass Ihre Partnerschaft zunehmend unter der Situation leidet oder gar daran zu zerbrechen droht,
- sich immer zurückziehen und isolieren.
Ist es Ihnen gelungen, sich mit Ihrer Kinderlosigkeit auszusöhnen, kann es sein, dass Sie im Verlauf Ihres weiteren Lebens immer wieder von Wehmut heimgesucht werden. Wenn Sie in die Wechseljahre kommen, und die Natur, die Fruchtbarkeit begrenzt, kann das Thema Abschied noch einmal schmerzhaft ins Bewusstsein gelangen. Aber auch wenn im Freundeskreis Kinder zur Welt kommen, diese ihre ersten Schritte machen, eingeschult werden, heiraten und schließlich selbst Nachwuchs erwarten, wenn ihre Freundinnen stolz die Enkel präsentieren. All das sind, in denen Sie mit Ihrer Trauer in Berührung kommen können und erfahren, dass Sie nie auf der Seite stolzer Eltern stehen werden. Aber Sie werden auch feststellen, dass aus dem früheren Schmerz ein Bedauern geworden ist, das kommt und wieder geht.
Frauen trauern anders – Männer auch
Ungewollte Kinderlosigkeit stellt die meisten Partnerschaften auf eine harte Probe. Nicht zuletzt deshalb, weil Frauen und Männer mit Schicksalsschlägen und Trauer unterschiedlich umgehen. Was auf den ersten Blick als unüberwindbares Hindernis zwischen den Geschlechtern erscheint, birgt eine große Chance – nämlich, sich zu ergänzen und gegenseitig zu unterstützen.
Umgang mit dem sozialen Umfeld
Ungewollte Kinderlosigkeit ist in unserer Gesellschaft leider immer noch ein Tabuthema. Es erzeugt Unsicherheit sowohl auf der Seite der Betroffenen als auch derer, die (scheinbar) mühelos Eltern geworden sind.
Trauerphasen
Obwohl sich kinderlose Paare von einer Vision verabschieden müssen – einem Kind, das nie existierte – sind die Reaktionen vergleichbar mit denen die Trauernde erleben, wenn ein nahestehender Mensch gestorben ist.
Gehen Sie einfühlsam und verständnisvoll mit sich um. Nur Sie allein wissen, wie beschwerlich die Zeit des Hoffens und Wartens war, auf was Sie verzichtet haben und wie viel Lebensfreude dabei verloren ging. Erlauben Sie sich zu trauern, auch wenn andere dafür wenig Verständnis zeigen. Es ist angemessen.
Wie lange die einzelnen Trauerphasen dauern, ob sie sich überschneiden oder längst durchlebt geglaubte Gefühle wieder auftauchen, kann nicht vorhergesagt werden.
Realisieren
Es geht darum zu realisieren: Ich werde in meinem Leben nie ein eigenes Kind haben. Der vorgesehene Platz wird leer bleiben. Der gemeinsame Familienspaziergang, der Besuch im Zoo, der Kindergeburtstag, die vielen erträumten Sequenzen lassen sich nicht verwirklichen. In dieser Phase ist es wichtig, ein letztes Mal ehrlich zu überprüfen, ob es nicht doch noch ein offenes Hintertürchen gibt. Sollten Sie eines entdecken, entscheiden Sie gemeinsam mit Ihrem Partner, ob Sie bereit sind, es endgültig zu schließen.
Wut und Neid
Ist die letzte Türe zugestoßen, kann es durchaus sein, dass Wut aufkommt. Diese Gefühlsregung kann sich gegen den eigenen Körper richten, oder gegen Ärztinnen und die Fertilitätsmedizin, die nicht zum ersehnten Erfolg verholfen haben. Aber auch die Gesellschaft kann zum Sündenbock erklärt werden, weil sich immer noch hartnäckig das Vorurteil hält: Nur eine Mutter ist eine richtige Frau.
Gleichzeitig bahnen sich Gefühle von Neid ihren Weg ins Bewusstsein. Neid auf all die Mütter, die das vorleben, was im eigenen Leben nicht in Erfüllung gegangen ist. Viele Frauen hadern mit ihrem Schicksal, das ihnen ungerecht erscheint. Sie grübeln, was sie falsch gemacht haben. Warum die anderen – die Schwester, die Freundin, die Kollegin? Warum Frauen, die in schwierigen Beziehungen leben? Warum Frauen, die gar keine Kinder haben wollen? Eine Antwort darauf wird es nicht geben.
Innere Leere
Die schwierigste Phase ist die der inneren Leere. Jahrelang war das Thema Kind Mittelpunkt des eigenen und partnerschaftlichen Lebens. Um so mehr, wenn versucht wurde, eine Schwangerschaft über künstliche Befruchtung herbei zu führen. Mit der Entscheidung, sich von der Gründung einer eigenen Familie zu verabschieden, wird auch der bisherige Lebensentwurf bedeutungslos. Erschwerend kommt hinzu, wenn sich Paare aus Scham und Angst nicht verstanden zu werden, von ihren Familien und Freunden zurückgezogen haben und jetzt feststellen, dass sie keine oder nur noch wenig soziale Kontakte haben.
Die Leere auszuhalten, bis sie mit neuen Inhalten gefüllt werden kann, ist äußerst schwierig. Depression, bis hin zu suizidalen Gedanken, können die Folge sein. Und die Versuchung ist groß, das Loch durch übertriebenen Aktionismus oder gar einen neuen Partner zu stopfen.
Rückblick
Mit dem Blick zurück auf die vergangenen Monate und Jahre beginnt die eigentliche Arbeit des Loslassens. Es war eine schwierige und schmerzhafte Zeit, geprägt von emotionalen Wechselbädern. Eine Zeit der Entbehrungen, die nicht zum gewünschten Erfolg geführt hat. Dies zu akzeptieren tut weh. Dennoch ist es wichtig, dass Sie diese Phase in Ihr Leben integrieren. Sie haben mit Ihrem Partner um die Erfüllung Ihres Lebenstraums gekämpft und müssen sich nicht vorwerfen, etwas versäumt zu haben. Sie haben gemeinsam eine Krise überstanden und vielleicht hat Sie diese Erfahrung noch mehr zusammengeschweißt.
Neuorientierung
Am Ende des Trauerprozesses steht die Neuorientierung. Alle Phasen des Abschieds sind durchlaufen und die nicht verwirklichte Elternschaft kann angenommen werden. Nun ist es an der Zeit, neue Lebenskonzepte zu entwickeln – allein und gemeinsam mit dem Partner. Die Energie, die so lange an den Kinderwunsch gebunden war, steht Ihnen wieder zur Verfügung.
Gelingt es, das Schicksal kein eigenes Kind zu bekommen anzunehmen und zu betrauern, können Kraft, Zeit und Energie, die an den Versuch ein Kind zu bekommen gebunden war, dafür eingesetzt werden, sich im Leben neu zu orientieren.
Für die Beiträge zu diesem so schwierigen Thema bedankt sich Wunschkind auf das herzlichste bei Frau Iris Enchelmaier.